JoinPolitics logo
BewerbenSpenden

“Der Sprung in die Politik hat mir gezeigt, dass ich als einzelne Person einen Unterschied machen kann”

Du bist selbstständige Handwerkerin und sagst selbst, dass Politik für dich zunächst Neuland war. Warum hast du dich dennoch für den Sprung entschieden?

Anders als Angestellte hatte ich während meiner Schwangerschaft als selbständige Tischlerin keinen Anspruch auf Mutterschutz. Diese Erfahrung hat mir klargemacht, dass ich handeln muss. Denn bisher gab es keine Organisationen und Akteur*innen, die sich dafür eingesetzt haben, diese Ungleichbehandlung zu beenden. Ich war fassungslos und auch wütend darüber, dass die Problematik bisher nicht erkannt wurde. Mich haben diese Gefühle motiviert, etwas zu unternehmen. Denn das, was mir und vielen anderen passiert ist, darf nicht die Normalität sein.

Mein Weg in die Politik war allerdings keine Entscheidung, die ich wirklich bewusst getroffen habe. Es hat sich mit der Zeit ergeben. Ich habe viele kleine Schritte gemacht, um mich für mein Herzensthema einzusetzen und nicht aufgegeben, weil ich gesehen habe, dass ich etwas verändern kann. Letztlich habe ich nie für mich alleine gehandelt, sondern stellvertretend für viele andere, die in der gleichen Situation waren oder noch sein werden. Die Unterstützung, die ich dabei erfahren habe, hat mich bestärkt. Für sie alle wollte ich eine echte Verbesserung erzielen.

Johanna Röh in ihrer Tischlerei (Foto: Nora Hansen)

Welche Eigenschaften sollten politische Quereinsteiger*innen deiner Meinung nach mitbringen? 

In erster Linie würde ich sagen: Durchhaltevermögen und Lust auf Teamwork! Es braucht Zeit, Herzblut und auch Verbündete, eine Veränderung auf politischer Ebene voranzubringen. Das ist viel Arbeit. Diesen Aufwand und die notwendige Energie darf man nicht unterschätzen. Deshalb braucht es in meinen Augen unbedingt eine “Hands On”-Mentalität ohne Hang zum Perfektionismus. Es geht darum, etwas zu verändern und zu gestalten. Man sollte nie zu verkopft an die Dinge herangehen. Sicherlich hätte ich viele Dinge besser machen können und sicherlich gibt es auch Personen, die bereits Fähigkeiten haben, die ich noch entwickeln muss. 

Die Einstellung, die mir geholfen hat, mich trotzdem nicht zu verstecken, ist folgende: “In dem Moment, indem ich aktiv werde und die Sache angehe, übernehme ich Verantwortung. Dann braucht es mich in dieser Rolle!” 

Es gibt in der Gesellschaft nach wie vor Baustellen, die nicht genug bearbeitet und gesehen werden. Wir müssen selbst aktiv werden, um sie zu bearbeiten. Dabei kommt es nicht auf Stärken, Schwächen und Erfahrung an, sondern darauf, mit der richtigen Motivation zu handeln und mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten. Wenn wir uns in unseren Fähigkeiten ergänzen und gegenseitig wertschätzen, sind wir erfolgreich. Wenn ich bei der Pressearbeit oder der Formulierung von einem Positionspapier Unterstützung brauche, dann suche ich sie mir. Ich habe kein Problem damit zu sagen, wo ich Hilfe brauche oder mich nicht auskenne.

Wichtig zu wissen ist auch: In der Politik geht es oft auch um Einfluss und Macht. Man muss deshalb immer mit Gegenwind rechnen - manchmal auch aus der Richtung, aus der man ihn am wenigsten erwartet. Das sollte jedem und jeder Quereinsteiger*in bewusst sein. Insofern kann ich nur raten: Lasst euch nicht beeindrucken und aus der Ruhe bringen. Bleibt euch und eurer Sache treu und fangt nicht an, euch an diesen Spielen zu beteiligen. 

Inzwischen hast du Petitionen organisiert, warst im Bundestag als Sachverständige, organisiert große Bündnistreffen. Was sind deine größten Learnings?

Mir wurde erstens oft gespiegelt, dass ich mich inhaltlich nicht auf dem Niveau einer Anwältin oder Versicherungsexpertin bewege. Das ist natürlich richtig. Aber das ist auch nicht meine Rolle. In dem Fall könnte ich die politische Botschaft wahrscheinlich auch nicht  in der Dringlichkeit transportieren und darstellen, wie ich es gerade tue, indem ich meine persönliche Erfahrung als selbstständige Schwangere schildere. Man lernt mit der Zeit, wann welche Inhalte gefragt sind und darf sich Unterstützung von Personen holen, die sich zum Beispiel im Recht oder Versicherungswesen wirklich gut auskennen.

Zweitens darf man sich nicht von anderen vereinnahmen oder einschüchtern lassen. Ich mache mir immer wieder bewusst: Es gab einen Grund, der mich motiviert hat, mich zu engagieren. Der Motivationsfaktor kann sich verändern, ich muss ihn manchmal suchen, wenn es gerade aussichtslos aussieht. Aber ich finde ihn! Hier hilft es, sich konkrete Ziele zu setzen und die notwendigen Maßnahmen zu erarbeiten und auch zu verfolgen. 

Drittens ist eine Initiative viel Aufwand. Das ist vergleichbar mit einem eigenen Unternehmen oder Kind: Es gibt viel zu planen, zu organisieren und zu koordinieren. Gerade in meiner Führungsrolle - für die ich nicht immer dankbar bin - erfordert das viel Einsatz.

Viertens braucht es einige Zeit, bis eine Initiative eine gewisse Anerkennung erfährt. Vor zwei Jahren, zu Beginn der Arbeit, hatte “Mutterschutz für Alle” die natürlich noch nicht. Die kommt erst mit den ersten Erfolgen. Und die sollten immer gefeiert werden, auch wenn sie noch so klein sind. 

Fünftens wird es immer wieder Reibungspunkte geben. Das gehört zur politischen Arbeit einfach dazu. Wichtig ist, wie man damit umgeht. Ich kann nur dazu raten, den Raum für Dialog immer offen zu halten und Gespräche trotz Konflikten zu suchen. 

Als Sachverständige im Bundestag (Foto: Hede Weit)

Welche Tipps kannst du anderen geben, die über den Wechsel in die Politik nachdenken?

Sucht euch Verbündete und Unterstützung. Wenn ihr an einer Stelle nicht weiterkommt, dann gebt nicht auf. Es gibt immer eine Person, die euch beraten und helfen kann. 

Wichtig ist auch eine eigene Motivationsquelle. Für mich persönlich sind das nicht meine Erfolge oder das Team um mich herum. Was mich motiviert, ist das Warum hinter allem, was ich tue. Meine eigene Erfahrung, die mich antreibt und die Erkenntnis, dass es vielen so geht wie mir. Ich will deshalb eine Verbesserung des Mutterschutzes für Selbstständige. Ich will, dass die Ungleichbehandlung zwischen uns und Angestellten ein Ende hat. Das braucht natürlich einen langen Atem, Resilienz und Selbstachtsamkeit. Ansonsten brennt man schnell aus.

Im Petitionsausschuss für ein Mutterschutzgesetz (Foto: Hede Weit)

Mit diesen Erfahrungen im Hinterkopf: Würdest du wieder springen?

Auf jeden Fall! Natürlich bin ich an der ein oder anderen Stelle etwas blauäugig gewesen. Dennoch war es für mich eine Erfahrung, die mir meine eigene Selbstwirksamkeit verdeutlicht hat. Der Sprung in die Politik hat mir gezeigt, dass ich als einzelne Person einen Unterschied machen kann und das es in der Gesellschaft Gruppen gibt, die meinen Einsatz und meine Stimme brauchen. Mit meiner Entscheidung habe ich quasi Verantwortung für sie übernommen. Ich bin davon überzeugt, dass ich einen gesellschaftlichen Prozess angestoßen habe. Egal, wie lange es dauert, bis wir konkrete Verbesserungen erzielen: Der Wandel im Verständnis von Mutterschutz innerhalb unserer Gesellschaft ist bereits heute sicht- und messbar. Darauf bin ich wahnsinnig stolz.