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“Auf dem Dorf geht die Demokratie jeden Tag ein Stück mehr verloren.”

Luca Piwodda, 22 Jahre jung, wurde 2021 als Talent in der Seed-Phase gefördert. Er hat mit 18 die FPA gegründet, seine eigene Partei. Mit 19 die erste Bürgermeisterwahl gewonnen und mit 21 eine Landtagswahl bestritten. Nun setzt er alles aufs Dorf, will die FPA als Dorfpartei in Ostdeutschland in der Fläche etablieren, auch um der AfD und noch rechteren Parteien Paroli zu bieten. Was er genau vorhat, erklärt er uns im Interview. 

Luca, deine Seed-Phase im Superwahljahr 2021 ist nun fast ein halbes Jahr her. Wie blickst du darauf zurück und was ist dein wichtigstes Learning? 

Schmunzelnd. Einerseits, weil es eine echt schöne Zeit mit vielen tollen Menschen war; andererseits, weil wir an manche Dinge echt naiv rangegangen sind. Wir sind im März 2021 gestartet und haben über sechs Monate zeitgleich parteilichen Strukturaufbau betrieben und eine Lantagswahlkampagne in einem großen Flächenland gestaltet. Beides zusammen geht in Zukunft auf keinen Fall. Dieses Learning bleibt hängen. Und gleichzeitig bin ich froh, dass wir mit dieser Naivität, Dinge groß zu denken, in das Superwahljahr gegangen sind. Denn natürlich ist da ganz viel entstanden und wir haben als junge Partei einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. 

Beim Talent & Fellow Day kurz nach dem Wahltag hast du, basierend auf den Learnings, bereits eine klare Strategie präsentiert: die FPA soll Dorfpartei werden. Was genau heißt das? 

Ja, diese Kernbotschaft in unserer Arbeit wurde uns immer deutlicher. Auf dem Dorf kann sich kaum konstruktiver Protest formieren – es gibt dort die AfD oder noch rechtere Parteien und jede Menge Menschen, die nicht wählen gehen. Tendenz steigend. Da können wir doch nicht einfach weggucken, weil hier die Demokratie jeden Tag ein Stück mehr verloren geht. Wo stehen die Windräder? Auf dem Dorf. Wo kommen unsere Lebensmittel her? Vom Dorf. Wir nehmen den ländlichen Raum als eine Dienstleister wahr, der viel einstecken muss, aber nicht wirklich ernstgenommen wird. Diesen Schiefstand akzeptieren wir nicht und wollen dem Dorf eine Stimme geben, denn es kann auch sehr viele gute Ideen hervorbringen. 

Manch einer würde trotzdem sagen: Die politische Musik spielt in Berlin und Brüssel, nicht auf dem Dorf. Was würdest du dem entgegnen?

In Berlin und Brüssel sitzen vielleicht die Dirigenten, aber nicht das Orchester. Es reicht nicht aus, nur in den Großstädten aktiv zu sein, dort gibt es schon alle möglichen Angebote. Gerade auf dem Dorf ist es spannend, politisch zu wirken. Hier ist der nächste Supermarkt 15 Kilometer weg und die Parteien lassen sich, wenn überhaupt, einmal alle vier Jahre im Wahlkampf blicken. Dort neue Motivation und Begeisterung für Politik zu entfesseln, das ist ein echter Ansporn. 

Unter dem Motto "Ein Dorf hilft sich selbst" habt ihr ein konkretes dorfpolitisches Projekt in Sarnow gestartet. Was genau macht ihr dort? 

Unsere Aktivitäten in Sarnow begannen schon im Juni 2021, also mitten im Landtagswahlkampf, mit gemeinsamen Grillabenden. Das bekam damals übrigens auch Philipp Amthor mit, der dort seinen Bundestags-Wahlkreis hat. "Die FPA gefällt uns, da kriegen wir zumindest kostenlos Bratwürste", kommentierten das wohl einige in Sarnow. 

Aber wir sind natürlich nicht in Sarnow, um Bratwürste zu verteilen, sondern um den Wohnungsbau in Deutschland neu zu denken. Genauer gesagt wollen wir einen CO2-neutralen Wohnungsbau ermöglichen, indem wir den Strohballenbau massentauglich machen. Das werden keine Lehmhütten, sondern damit kann man bis zu sechsstöckige Gebäude bauen. Diese Bauweise ist kostengünstig, nachhaltig und schnell umzusetzen - so erhält Sarnow eine Konjunkturhilfe und Ballungsgebiete mit Wohnungsnot können auf diese Weise die soziale Ungerechtigkeit lindern. Im nächsten Schritt soll je 1€ pro vermieteten Quadratmeter in einen Sarnow-Fonds fließen, sodass der dortigen Bevölkerung stückweise ein bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt wird und wir somit zur Modellregion werden. Dafür gründen wir eine Bürgerstiftung, wir wollen mit dem Projekt nämlich nicht Kohle machen oder so. Mit unserem Projekt zum Strohballenbau startet ein Prozess der Bürgerbeteiligung, der erst einmal wirtschaftlich wirkt und dadurch auch neue politische Motivation freisetzen soll.

Sicherlich richtet ihr den Blick bereits nach vorne auf das kommunalpolitische Superwahljahr 2024 mit Wahlen in acht Bundesländern, u.a. in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Was sind eure Ziele? 

Genau, im Mai 2024 finden am selben Tag Kommunalwahlen in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern statt, da wollen wir in insgesamt 38 Städten und Gemeinden teilnehmen. Hierbei wollen wir bewusst mit lokalen Wählerbündnissen zusammenarbeiten und ganz neue Formen der politischen Mitwirkung finden. Zum Beispiel kann mit dem Losverfahren experimentiert werden.

Bis dahin ist es aber ein weiter Weg: Wir haben für einen Struktur- und Netzwerkaufbau in diesen 38 Standorten vier Hauptprojekte: Unser CO2-neutrales Wohnbauprojekt in Sarnow, die Reformierung der MV Werften als größter Arbeitgeber im Bundesland, der Ausbau unseres Kulturbündnisses Kulturallianz zu einem Kulturzentrum (unsere Kultursaison 2022 startete am 13. März mit einem Auftritt des Preußischen Kammerorchesters und 70 Gästen) und der Gründung einer Marketing-Agentur für die Wahlkampagnen.

Wir sind also eine Projekt-Plattform, weil Politik nicht mehr nur über Parteien funktioniert. Insbesondere die Marketing-Agentur soll unsere Projekte zu Kampagnen machen und für 2024 unseren Kandidierenden ein individuell geschneidertes Wahl-Set mit Flyern, Social-Media-Hinweisen und Co. liefern. So verstehen wir Politik und das wollen wir bis dahin aufbauen - dann kann man uns 2024 wählen, weil wir schon vor dem Wahlkampf abgeliefert haben. 

Du hast mit 18 die FPA gegründet, deine eigene Partei, mit 19 gegen deinen eigenen Großvater die Bürgermeisterwahl in Gartz (Oder) gewonnen, mit 21 die erste Landtagswahl absolviert. Wo willst du in zehn Jahren auf deinem politischen Weg stehen? 

Auf jeden Fall bin ich dann nicht mehr FPA-Vorsitzender, denn wir haben eine Amtszeitbegrenzung auf maximal zehn Jahre bei uns. Hoffentlich werden wir die jetzt laufenden Projekte ausgebaut und schon als Innovationsmotor bekannt gemacht haben. Die FPA ist dann eine feste kommunalpolitische Größe und behält sich ihre Wurzeln als basisdemokratisches Polit-Startup bei. In zehn Jahren bin ich 32 – ich müsste also noch acht Jahre warten, bis ich für das Amt des Bundespräsidenten kandidieren darf. Das fällt also schon einmal weg, deshalb mal schauen. Irgendetwas wird sich schon finden. 

Du möchtest besser verstehen, was Dorfpolitik konkret meint? Wir empfehlen sehr den Dokumentarfilm “Wem gehört mein Dorf”, den man hier online schauen kann. Wir werden bald auch ein Instagram live mit Luca zu dem Thema veranstalten. Stay tuned auf unserem Insta-Kanal.